Texterella
Die Farbe der Unschuld.

Meine Mutter neigte nicht zu modischen Extravaganzen. Außer bei meiner Erstkommunion. Anstatt mich wie alle anderen gut katholischen Mütter in einen Mädchentraum aus reinweißer Spitze zu stecken, wurde für mich ein elegantes Etuikleid samt Jäckchen in einem Farbton namens „Eierschale“ geschneidert. Auf dem Gruppenbild sah es aus, als hätte der Weiße Riese bei mir den Grauschleier nicht entfernt. Nein, mein Verhältnis zu Weiß ist seitdem nicht das beste.

Und nun dies: Auf der New York Fashion Week im September wurde Weiß zur Modefarbe für den kommenden Sommer ausgerufen. Hartes, herbes Weiß, wie mir eine Freundin aus Brooklyn verriet. Das tröstet mich nur wenig. Und überhaupt – warum denn schon wieder Weiß?! Gab es nicht erst 2009 und 2011 weiße Sommerkleider, wohin man auch blickte? Aber vielleicht ist es ja unsere Sehnsucht nach der heilen Welt, die uns das regelmäßige Comeback beschert?

Doch bleiben wir mal realistisch: Viel mehr als die Farbe der Reinheit und einer besseren Welt ist Weiß doch die der Gras- und Tomatensoßenflecken, der Make-up-Ränder, der teuren Reinigung. Die „Kind Du siehst so erschöpft aus“-Farbe, selbst wenn wir bestens erholt sind. Ein absolutes No-go für jede Hochzeitseinladung – es sei denn, wir wollen die Braut zur lebenslangen Feindin haben. Und – für eine Trendfarbe geradezu fatal: Weiß ist letztlich die Farbe, die fast niemandem steht.

Von gewissen Ausnahmen mal abgesehen: das weiße Herrenhemd des Liebsten zum Beispiel. Passt immer: zur Jeans ebenso wie zum strengen Kostümrock. Oder seine kleine Schwester, das klassisch-weiße Baumwoll-T-Shirt. Ungewaschene Haare und verwischte Mascara wirken darin wie ultimative Accessoires. Schlohweißes Haar, das seiner Trägerin diese beneidenswerte Extravaganz verleiht. Und schließlich: Was täte die Düsseldorferin auf der Kö ohne ihre weiße Jeans?!

Ich bin übrigens gerade dabei, mein modisches Kindheitstrauma aufzuarbeiten. Eierschale heißt bei mir jetzt „Champagner“. Den mag ich ohnehin viel lieber als Eierlikör.

(Die Kolumne erschien am 18. Oktober 2013 in der Printausgabe der WELT Kompakt und ist hier online zu lesen.)

# 31. Oktober 2013 um 09:42 Uhr
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